Stellen wir uns vor, Sie sind mittendrin im Interview und da stellt der Reporter eine kritische Frage, der Sie faktisch nichts zu entgegnen haben. Vielleicht sprechen Sie beide gerade über Ihre betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und der Reporter stellt fest: „Herr X, seitdem Sie CEO sind, ist es stets bergab gegangen. Ihre Firma ist in Deutschland Marktletzter! “ Tja. was sagen Sie da? Faktisch hat er Recht. Welche Antwortmöglichkeiten haben Sie:
- Widersprechen können Sie ihm eigentlich nicht. Kleinteilig herumrechten gereicht Ihnen nur zum Nachteil.
- Einfach nicht darauf eingehen? Als Politik-Journalistin würde ich sagen, dass größtenteils dieses Antwortmuster daran schuld ist, dass Politiker in der Bevölkerung einen so schlechten Ruf bekommen haben. Deshalb fällt diese Variante auch für Sie aus.
- Ansatzlos auf die schlechten Zeiten bzw die miese Konkurrenz schimpfen – aber das macht unsouverän und unsympathisch und fällt daher ebenso aus.
- und da Sie leider auch keinen konkreten Plan parat haben, der just diese Marktanteils-Malaise auf die Schnelle löst, können Sie damit auch nicht glänzen.
Die eleganteste Lösung ist das Bridging und das geht so:
Sie gehen auf die Feststellung des Reporters ein, denn sie ist ja faktisch richtig. Sie geben ihm (kurz!) Recht und geben ein Schuss Empathie dazu. Und danach leiten Sie zu einem Thema über, das dazu passt. Es muss nicht die perfekte Lösung beinhalten, aber in eine gute Richtung zeigen. Das klingt dann in etwa so: „Ja, Sie haben Recht, wir haben in den vergangenen Jahren mehrfach hintereinander Marktanteile in Deutschland verloren….“ (=Faktenanerkennung, aber nicht zu viele Details des Desasters, denn die wollen Sie ja später nicht noch schwarz auf weiß nachlesen können, oder?). „….Sie können sich vorstellen, dass dies auch mich nicht erfreut, schon gar nicht der Belegschaft gegenüber… (=Empathie)….UND wir sind stolz darauf, dass wir einen Fuß in die fernöstlichen Märkte setzen konnten. Sehen Sie, Asien ist mittlerweile einer der größten Player der Erde geworden. Unser neues Produkt X……. undsoweiterundsoweiter.“
Warum UND und nicht ABER? Wer kritischen Fragen mit Widerspruch begegnet, wirkt auf das Publikum oft selbstgerecht. Außerdem können Sie damit verhindern, dass der Reporter seine Kritik und Ihre Entgegnung en detail gegeneinander aufrechnet. (nur zur Erinnerung: Sie hatten ja keine perfekte Lösung für die Marktverluste in der Tasche…..).
Vielleicht fragen Sie sich, warum diese Methode funktioniert, denn der Reporter bemerkt ja – sofern er Fachmann ist bzw zuhören kann – Ihr Bridging ganz genau. Aber das Publikum prämiert keine Faktenhuber, sondern Sympathieträger. Wer auf Details herumreitet, gerät ins Abseits. Das gilt auch für Journalisten: Das Publikum mag es zwar gern, wenn sie scharfsinnig sind und den Interviewpartner anhand dessen eigener Aussage „überführen“, aber kleinteilige Wadenbeißer findet es dann doch enervierend. Wer dagegen versöhnlich und verbindend wirkt, hat Aufwind. Und deshalb geht in unserem Beispiel der Punkt an Sie. Ein eiliges „Aber das ist doch nicht die Antwort auf meine Frage….!“ wirkt dann unter Umständen, als gönne der Reporter Ihnen den Fernost-Erfolg nicht. Sie sehen: im Interview geht es um mehr als nur um Informationen. Klar, im Vieraugengespräch gelten ganz andere rhetorische Gesetze und da hat das „aber“ auch wieder seinen Platz. Doch hier ist das Publikum die Jury.
Sie haben Fragen oder Anregungen dazu? Dann mailen Sie mir gern oder rufen mich an.
Foto-Quelle: kotafoty