Haben auch Sie Ihren Kindern beigebracht, immer schön ehrlich zu sein? Und wie peinlich wird es dann, wenn sich Ihr Kind beim Besuch der Schwieger-Oma tatsächlich daran hält? Wenn Wahrheit mit Kritik verbunden ist, dann vertragen Menschen ehrliche Worte höchst selten.

Stattdessen fühlen sie sich ertappt, bloßgestellt, beleidigt, beschämt usw. usw.  Was moralisch geboten ist, funktioniert real nur schlecht. Psychologen kennen dieses Phänomen. In vielen Experimenten haben sie bewiesen, dass Menschen nun einmal negative Aussagen über sich selbst nicht hören wollen. Lieber akzeptiert der Mensch stattdessen eine höfliche Flunkerei.

Immer wieder kommt es zu medial begleiteten Selbstversuchen à la „40 Tage lang nicht lügen“. Ein Journalist, der solch einen Selbstversuch vor einigen Jahren vollzog, riet nach dem Ende turbulenter sechs Wochen von Nachahmungen ab. Er erzählte, dass er heilfroh sei, trotz dieser radikal ehrlichen Phase noch verheiratet zu sein und seine Eltern weiterhin besuchen zu dürfen. Es ist nicht überliefert, was nach den sechs Wochen sein Chef über ihn dachte.  Denn auch in journalistischen Betrieben findet die offene Wahrheit schnell ihre Grenzen.

 Der Mensch ist für die Wahrheit nicht gemacht. Zumindest nicht ohne Weiteres.

Unter gewissen Voraussetzungen funktioniert es aber, eine unbequeme Wahrheit anzubringen. Ich persönlich vertrage solche Ehrlichkeiten am besten durch den Mund meiner Liebsten oder aber eines Fremden. Deshalb erkenne ich hier zwei Maximen: entweder ist man sich richtig, richtig nah oder ganz, ganz weit voneinander entfernt. Entweder also kennt man sich seit Jahrzehnten, ist auf millimetergenauer Augenhöhe und weiß vom anderen zuverlässig, dass er es wirklich gut meint (Beste Freundin, bester Kumpel, vielleicht bester Kollege – Familienmitglieder sind schon heikler), oder aber man hat ein distanziertes beziehungsweise formales Verhältnis. Dazwischen gibt es nichts.

Im Business aber sind die meisten Relationen „dazwischen“. Unter Kollegen schwingt oft ein Konkurrenzgedanke mit und im Verhältnis Vorgesetzter zu Mitarbeiter wird es endgültig kompliziert. Viele Unternehmenskulturen lassen persönliche Kritik nur in Maßen zu, schon gar nicht von unten nach oben. Tradition und Hierarchie tun ihr Übriges. Und selbst im offenen Führungsstil, selbst wenn Führungskräfte Gleiche unter Gleichen sein wollen, wird ein offenes Wort schnell zum Bumerang.

Wer aber berät die Chefs? wenn es um deren Kommunikationsstil geht oder um deren Konfliktfähigkeit?  Oder um deren Rollenverständnis als Führungskraft? Wer sagt ihnen, wie sie intern und in den Medien am besten „rüberkommen“?  Schließlich sind all dies entscheidende Fragen, wenn der CEO im Sinne des Unternehmens gut positioniert sein will. Und nicht nur das. In Umfragen wird immer wieder deutlich, was sich Mitarbeiter von ihren Führungskräften wünschen:  aufrichtiges Interesse, eine sachlichere Diskussion und eine offenere Kommunikation bezüglich betrieblicher Probleme. All das will gelernt sein.

Wer also berät den Chef? Die Mitarbeiter sind dazu nur in wenigen Fällen geeignet. Denn Beratung ist gleichbedeutend mit Kritik.

Hier kommen externe Berater und Coaches ins Spiel. Als Dienstleister haben sie die „gewisse Distanz“, denn Sie stehen nicht in der Hierarchie. Außerdem werden sie ja gerade deshalb engagiert, weil sie – konstruktiv natürlich – Kritik üben sollen. Im Übrigen haben sie gelernt, wie man professionell und wertschätzend solche kritischen Worte transportiert.  Und externes Knowhow sowie den „Blick über den Tellerrand“ haben sie überdies im Gepäck.

Und was sollte ein Berater bzw. Coach mitbringen? Sicherlich Fachwissen und Erfahrung. Aber darüber hinaus aus meiner Sicht vor allem zwei Dinge. Er sollte die Fähigkeit haben, auch über längere Zeit den Blick neutral halten zu können. Er sollte also alle Seiten vorbehaltlos bewerten können, anstatt sich mit der Sache gemein zu machen.  Außerdem sollte er in der Lage sein, sich auf die innere Welt und die Sichtweisen seines Kunden tatsächlich einzulassen. Coaches nennen das: die eigene Landkarte verlassen.

Nur dann kann er zusammen mit seinem Klienten etwas erarbeiten, was wirklich zu ihm und dem Unternehmen passt.

Dieser Beitrag ist als Gastartikel ursprünglich auf vomHoff.de erschienen.